Eigene Malerei

Meine Malerei ist gekennzeichnet durch die Polarität zwischen Freiheit und Zwang. Das drückt sich nicht nur in den Themen, sondern auch in der Wahl der malerischen Mittel aus…

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Einladung Offenes Atelier 2016

Das Hängen der Bilder

Offenes Atelier 2016: Bilder hängen

Der erste Eindruck

Offenes Atelier 2016: Erster Eindruck

Die Besucher/innen

Offenes Atelier 2016: Die Besucher/innen

Ausstellung „ÜberLeben“ am 26. Juni 2009 in Horb

Laudatio von Herrn Dr. Sascha Falk zur Eröffnung

Sehr geehrte Damen und Herren,

liebe Ausstellungsgäste,

 

ich möchte Sie herzlich begrüßen und freue mich, Sie mit ein paar wenigen Worten in die Malerei von Barbara Wolf einführen zu dürfen.

 

Beim ersten Gang durch die Ausstellung wird Ihnen aufgefallen sein, dass sich die Bilder von Frau Wolf durch zwei wesentliche Merkmale auszeichnen. Zum einen handelt es sich um das Merkmal einer bestimmten Bildgattung. Frau Wolf wählt nämlich das Portrait als zentralen Ausgangspunkt ihrer Malerei. Zum anderen handelt es sich um den Akt der Übermalung der Portraits durch meist kräftige, expressive, miteinander kontrastierende Farbwerte. Das Portrait, das Bildnis, auch Kopfbild genannt ist eine der ältesten und wichtigsten Bildgattungen in der Malereigeschichte. Es verdient zum Einstieg in die Ausstellung deshalb eine kurze Skizzierung seiner geschichtlichen Entwicklungstendenzen.

 

Das Portrait hat sich bereits in der Antike als eigenständige Bildgattung etabliert; denken Sie zum Beispiel an die Portraitskulpturen der römischen Kaiser oder die auf Holztafeln festgehaltenen Mumienportraits. Es handelt sich also um Erinnerungsbilder an eine bestimmte Person, denen eine ehrende Funktion inne wohnt.

 

Im Mittelalter spielt das Portrait als Bildgattung eine eher untergeordnete Rolle, und erst mit Beginn und im Verlauf der Renaissance entwickelt sich die Bildgattung zu dem, was unserer allgemeinen Vorstellung von einem Portrait entspricht: die wirklichkeitsnahe Darstellung einer Person mit ihren individuellen Zügen und physiognomischen Eigenheiten. Denken Sie hier beispielsweise an die Portraits der Päpste Julius II. oder Leos X. von Raffael. Und nicht zuletzt diese Bilder unterstreichen, dass um diese Zeit, also um 1500 der erste Höhepunkt in der Portraitmalerei erreicht ist.

 

Dieser Höhepunkt zeichnet sich durch höchste Realitätsnähe und psychologisierende Elemente aus. Einen neuen Aufschwung nimmt das Personenbildnis im 17. Jh., und zwar im Hinblick auf die verstärkte Psychologisierung der dargestellten Person. Die innere Befindlichkeit wird dramatisch in Szene gesetzt; denken Sie z.B. an die schonungslosen und deshalb so ergreifenden Selbstportraits von Rembrandt.

 

Die zweite Hälfte des 19. Jhs. markiert mit dem Impressionismus eine weitere wichtige Station, ja eine entscheidende neue Weichenstellung. Denn in der Portraitmalerei werden nun die Elemente Farbe und Licht aktiviert. Für die Darstellung innerer Wesenszüge und seelischer Stimmungslagen spielt zunehmend der Gestaltwert der Farbe eine wichtige Rolle, weniger das zeichnerisch exakte äußere Abbild der dargestellten Person. Die Bildfarben entsprechen nicht mehr notwendigerweise den Naturfarben. Dafür erzählen sie viel von der Innerlichkeit des Porträtierten. Als repräsentatives Beispiel wäre hier van Goghs berühmtes Portrait von Dr. Gachet aus dem Jahr 1890 zu nennen.

 

Zu Beginn des 20. Jhs. wird die Dramatik der Darstellung gesteigert in den intensiven farbigen Portraits des Expressionismus. In der Folgezeit ließ die Bedeutung des Portraits allerdings langsam nach, ohne jedoch gänzlich zu verschwinden.

 

So hat sich Barbara Wolf für ihre künstlerische Auseinandersetzung ein zwar kunsthistorisch bedeutendes, in der heutigen Kunstszene aber eher vernachlässigtes Sujet gewählt. Den Impuls, sich mit dem Portrait als Bildmotiv malerisch auseinander zu setzen, erhielt Barbara Wolf während ihrer Zeit als Entwicklungshelferin in Nicaragua. Den Impuls lösten Fotos von Vermissten aus, die Menschen zeigten, die in den Bürgerkriegswirren durch Verhaftung und Entführung verschwanden. Eine frühe Arbeit, die aus diesem Impuls heraus entstanden ist, trägt den Titel „Madres“. Dieses Bild markiert im Grunde den Anfang dieser Ausstellung, und es ist zugleich das älteste und einzige Bild in der hier ausgestellten Serie von Kopfbildern, das quasi durch seinen Entstehungskontext einen narrativen Charakter erhält und direkt auf die ursprüngliche Inspirationsquelle der Künstlerin verweist.

 

Auf dem großformatigen Bild erkennen wir in der oberen Bildhälfte grün uniformierte Militärs und etwas links vom Bildzentrum eine weiß hervorgehobene Szene, die offensichtlich eine Mutter mit dem Foto ihrer vermissten Tochter zeigt. Ebenfalls können wir die spanischen Wörter „Donde estan“ lesen, was soviel heißt wie „Wo sind sie“? Im Zusammenhang mit diesem Bild gewinnt der etymologische Ursprung des Wortes Portrait noch eine ganz besondere Qualität. Portrait leitet sich ab von lateinisch „protahere“, was mit „hervorziehen“ übersetzt wird. Durch die Fotoportraits werden die Verschwundenen und Vermissten sozusagen aus dem Dunkel des Vergessens hervorgezogen. Es sind Erinnerungsbilder wider des Vergessens, die die Hoffnung auf Rückkehr am Leben halten.

 

Sie sehen, dieses Bild ist aufgrund seines Inhalts und zeitgeschichtlichen Kontextes aufgeladen mit anekdotischen und narrativen Versatzstücken. Dem Portrait kommt in der Geschichte, die uns dieses Bild erzählt, eine konkrete inhaltliche und funktionale Qualität zu. In den übrigen Kopfbildern, die Sie hier in der Ausstellung sehen, ist das Erzählerische und Anekdotenhafte dagegen verschwunden. Wir sehen stattdessen Einzel- und Gruppenbildnisse von Männern, Kindern und Frauen, meist en face dargestellt, manchmal in verschiedenen Seitenansichten. Die meisten Gesichter blicken ernst, wenige begegnen uns mit einem freundlichen Lächeln oder einem befreienden Lachen. Wir kennen die Personen nicht, kennen nicht ihre Geschichte, können sie aufgrund einer fehlenden Szenerie in keinen zeitlichen oder inhaltlichen Kontext einordnen. Die Anonymität der bildfüllenden Köpfe irritiert uns. Wir erkennen den Menschen, aber wir erinnern uns nicht an ihn. Die traditionelle, vertraute Funktion des Portraits ist ad absurdum geführt. Was zur Steigerung unserer Irritation beiträgt, ist die Übermalung des zentralen Bildmotivs. Farbflächen die zum Teil mit dem Pinsel ausgeführt sind aber auch durch Schütten und Spritzen entstehen, überdecken das Bild. Zum Teil ist das Gesicht bis zur Unkenntlichkeit mit Farbe abgedeckt. Was uns hier so irritiert – die Übermalung – ist allerdings so alte wie die Malerei selbst. Geändert hat sich im Verlauf der Jahrhunderte lediglich der Impetus, die Motivation aus dem die Übermalung erfolgt.

 

In früheren Zeiten hatte es meist geschmackliche, praktische und ökonomische Gründe, warum zur Übermalung gegriffen wurde. So wurden während der Barockzeit unzählige mittelalterliche Fresken in Kirchen übermalt, weil sie einfach nicht mehr dem Zeitgeschmack entsprachen, schlicht und ergreifend nicht mehr en vogue waren. Bis zum Anfang des 20. Jhs. wurde die Übermalung konsequent als künstlerische Position und Strategie eingesetzt. Die Wurzeln für diese künstlerische Position können aber bereits 500 Jahre davor verortet werden. Auch die großen Renaissance-Meister der Tafelmalerei übermalten häufig frühere Entwürfe und verwarfen damit ihr ursprüngliches thematisches und kompositorisches Konzept. Dieses Vorgehen setzt einen bewussten intellektuellen, kritischen Schaffensprozess voraus, der im 20. Jh. als selbstverständlich angesehen wird. Kern dieses kritischen Schaffensprozesses ist die künstlerische Auseinandersetzung mit dem ursprünglichen Entwurf, der ursprünglichen Vorlage, dem ursprünglichen Bild. Und dieser kritische Schaffensprozess des Übermalens lebt natürlich auch von der fruchtbaren Polarität von Schöpfung und Zerstörung. Dem Akt des Übermalens oder Überzeichnens geht also immer eine Auseinandersetzung mit der Vorlage voraus. Im Sinne einer Nachschöpfung lotet die Übermalung gleichzeitig auch die formalen und inhaltlichen Möglichkeiten der Vorlage aus. Als Vorlage dienen Barbara Wolf weiterhin Fotos aus Zeitungen oder auch selbst geschossene. Aus dem Fundus dieser Fotosammlung wählt sie anschließend bildwürdige Malvorlagen aus.

 

Bereits hier beginnt mit dem Auswahlverfahren der kritische Schaffensprozess. Per Zeichnung wird das Motiv auf die Leinwand übertragen. Anschließend erfolgt der gestische, manchmal fast unkontrolliert wirkende Farbauftrag. Die Farbe kümmert sich nicht um die vorgegebenen Grenzen des figürlichen Abbildes.

 

Barbara Wolf nimmt sich die Freiheit und verfremdet und dramatisiert das Bildmotiv durch den Auftrag zum Teil stark kontrastierender Farbwerte. Nicht nur der ästhetisch goutierbare Komplementärkontrast kommt zur Anwendung, sondern auch schmutzige Farben wie Braun und Grau werden eingesetzt. Dieses Vorgehen kann durchaus als Angriff auf das figürliche Abbild, auf die vertraute Form verstanden werden. Die Ergebnisse dieses Angriffs können unterschiedlich sein. Zum Teil werden markante Gesichtszüge und physiognomische Eigenheiten durch eine transparente Übermalung geradezu akzentuiert. Zum Teil wird das ursprüngliche Portrait bis zur Unkenntlichkeit abgedeckt, so dass lediglich Fläche und Umriss als Farbe im Bild zurückbleiben. Es ist zweifellos eine radikale Geste, mit der die Künstlerin die Polarisierung zwischen Figuration und Abstraktion vorantreibt. Dahinter verbirgt sich ein Zweifel am Bild, an der bloßen Abbildung von etwas, ein Zweifel an einer vordergründigen Ästhetik.

 

Erst wenn dem Bild die Intensität des Spannungsverhältnisses zwischen Abstraktion und Figuration anzusehen ist, hält es die Künstlerin für ein gelungenes Bild.

 

Ich denke, mit dieser künstlerischen Position befindet sich Barbara Wolf in guter Nachbarschaft zu dem großen, österreichischen „Übermaler“ Arnulf Rainer, der von sich selbst einmal sagte, er habe mit seinen Übermalungen nie zerstören, sondern immer vervollkommnen wollen.