Kontaktkunst – Einblick in die „Bildende Kunst“ - Schwelle

An der Schwelle

An der Schwelle zwischen traditionellem und zeitgenössischem Kunstbegriff: 

 

Vielleicht erinnert sich die Eine oder der Andere an die „Lebenden Skulpturen“ zu Beginn der Sichtungsaufführungen? Im Raum stand ein dreidimensionales Bild, das aus mehreren lebensgroßen Einzelelementen gebaut war. Sichtbar war die Farbigkeit der Elemente und die plissierte Papieroberfläche, in der sich das Licht auf vielfältige Weise gebrochen hat. Nach und nach begannen die Skulpturen zu zucken, kleinere und dann größere Bewegungen auszuführen, sich den anderen Skulpturen zu- oder abzuwenden, eine Skulptur begann sogar zu rollen. Plötzlich gaben die lebenden Skulpturen mehr und mehr von ihrem Innenleben preis: Performende aus dem Kreis der Projektteilnehmenden kamen zum Vorschein, die sich aus den bemalten Papierbahnen heraus schälten und sich dieser entledigten. Nun lagen die grünen, orangen, grauen, braunen und blauen Papierbahnen regungslos auf dem Boden. Menschliche Bewegung und bemalte Fläche im Teamwork führten zu einer besonderen Ästhetik, welche weder mit den alleinigen Mitteln der Bildenden Kunst noch mit denen des Tanzes erreichbar gewesen wäre. 

 

Dieses Bild der „Lebenden Skulpturen“ würde nicht funktionieren, wenn man einen traditionellen Kunstbegriff zugrunde legte. In Abgrenzung dazu, ist der zeitgenössische Kunstbegriff keinem Realismus verpflichtet, der sich durch perfektes künstlerisches Handwerk und der Erzählbarkeit einer Geschichte auszeichnet. Dieser setzt vielmehr auf eine vielschichtige Ästhetik, die es vermag, die Essenz einer Idee zu transportieren. Funktioniert ein Werk, nehmen die Zuschauenden wahr, wie sich die Atmosphäre im Raum verdichtet und die Energie des Werkes von ihnen Besitz ergreift. Dann ist es als ZuschauendeR kaum möglich, sich gegen eine emotionale und/oder intellektuelle Beteiligung zu wehren. Der Rollenwechsel vom Konsumierenden zum Agierenden vollzieht sich. Dadurch vermag Kunst sowohl in der Produktion als auch in der Betrachtung  neue Sichtweisen frei zu legen und bislang bestehende Denk- und Handlungsmuster infrage zu stellen.